"White City – Black City"
Zwischen etwa 1930 und 1950 entstanden im noch jungen Tel Aviv rund 4000 Bauten im Bauhaus- und Internationalen Stil. Einwanderer aus Europa, vor allem aus Nazi-Deutschland geflüchtete Juden, brachten die Bauweise mit. Die Stadtplanung des Schotten Patrick Geddes ließ Platz für ihre Umsetzung, so dass Tel Aviv bis heute weltweit die meisten Bauwerke in diesem Stil versammelt. Etwa 1000 Gebäude der sogenannten Weißen Stadt sind seit 2003 Teil des UNESCO-Welterbes.
Sophia Kesting begibt sich mit ihrem Projekt auf die Spur dieser Bauten. Mehrfach fotografierte sie in Tel Aviv, beschränkte sich dabei aber nicht auf die unter Denkmalschutz stehenden Häuser, die nur einen kleinen Teil des Moderne-Bestandes der Stadt ausmachen. In Anlehnung an die 1000 UNESCO-Denkmäler erarbeitet sie vielmehr einen anderen, subjektiven Denkmalkatalog, ergänzt auch um zeitgenössische Bauten, die Merkmale des Internationalen Stils aufgreifen. Kestings rund 1000 Fotografien zeigen Häuser aus verschiedenen Teilen der Stadt, aus dem Zentrum wie aus Vierteln an der Peripherie, die heute von Migrant*innen aus Afrika geprägt sind, ähnlich wie die Weiße Stadt um die Mitte des 20. Jahrhunderts von Migrant*innen aus Europa geprägt war.
In jeder Aufnahme steht ein einzelnes Gebäude im Zentrum. Details aus dem Stadtleben wie parkende Autos und Passanten liefern eine subtile Einordnung des Motivs, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Die Häuser erscheinen so als Solitäre, eingebettet mehr in soziale Zusammenhänge als in einen städtebaulichen Kontext. Kesting verschiebt damit den Blick vom großen Ganzen der Stadtplanung hin zur Vielzahl einzelner Gebäude, die zusammen die Stadt ausmachen. Der Blick weitet sich, über die streng geregelte Denkmalbürokratie hinaus, auf die ständige Veränderung und Entwicklung des architektonischen Erbes in Tel Aviv.
Jedes Motiv findet sich, als Plakat auf einem von drei Stapeln, in der Ausstellung. Besucher*innen können sich eines mitnehmen und generieren so im Verlauf der Ausstellung immer wieder neue Motivkombinationen, mit denen die Diversität der Gebäude in den Ausstellungsraum geholt wird. Im Laufe der Zeit verschwindet Kestings White City schließlich aus dem öffentlichen Raum des Museums und wird Teil des privaten Raums der Ausstellungsbesucher*innen.
Text: Stephanie Milling, Kunstmuseum Magdeburg